Freitag, 14. März 2014

Knöpfchen und Lieschen Müller

In den Morgenstunden liebte es Lieschen Müller, ausgestreckt vor ihrem Häuschen zu liegen und auf jedes Geräusch zu achten. Sie wartete sehnsüchtig auf das brummende Geknatter, das der Wecker auf Monas Nachttisch verursachte. Eigentlich spürte Lieschen ja genau, wann es soweit war. So ein Kribbeln in ihrem Bauch verriet ihr ganz sicher, wie das beste Uhrwerk der Welt, wann das Frühstück bereitet wurde. Trotzdem erhöhten sich das Kribbeln und die Vorfreude auf all die Leckereien, wenn sie schon rechtzeitig vor ihrem Häuschen lag.
Ganz anders sah Knöpfchen die Sache. Obwohl er beträchtlich mehr Bauchumfang als Lieschen Müller hatte, so war sein Holzhäuschen doch um einiges kleiner als das seiner Nachbarin. Er liebte es zu fressen und zu schlafen, aber da er wusste, dass der Futternapf immer genug Grünes und Saftiges bot und der Platz im Häuschen ihm durchaus reichte, zog er sich gerne zurück und dachte über all die großen und kleinen Dinge dieser Welt nach. Sein Temperament war eher bedächtig und sein Gemüt verträglich. Lieschen Müller dagegen besaß für seinen Geschmack fast schon ein bisschen zu viel Temperament. Sie war neugierig, putzte andauernd an ihrem Fell herum und scheuchte Knöpfchen ab und zu hektisch hin und her. Das gefiel ihm natürlich am allerwenigsten, denn eins stand fest: Knöpfchen liebte es sehr, sehr gemütlich!
Lieschen Müller und Knöpfchen lebten bei Mona. Diese hatte ein kleines Holzhäuschen am Rande der Stadt. Hinter dem Haus lag eine Wiese auf der wuchsen all die leckeren Pflanzen, die so viele Menschen als Unkraut bezeichneten.
Lieschen Müller sprang auf und rannte nervös hin und her.
„Frühstück“, rief sie. Ihre Stimme war hell und piepsig, und sie sprach natürlich so laut, dass Knöpfchen einen Schrecken bekam. Er hob seinen Kopf ruckartig hoch und knallte gegen den oberen Türrahmen seines Häuschens. Wie gesagt, sein Häuschen war ja nicht so groß.
„Dein Bauch passt nicht ins Haus!“, lästerte Lieschen Müller ab und zu. Anders sah die Sache mit ihrem Häuschen aus. Das war sehr groß. Aber als Knöpfchen einzog, lebte sie längst schon hier bei Mona und in ihrem Haus, und sie dachte nicht daran, ihre Wohnung zu tauschen.
„Ach, wie das duftet! Guten Morgen, Mona.“ Lieschen Müller stellte sich auf die kleinen Hinterbeine und streckte ihre Nase empor. „Ich rieche Löwenzahn und Spitzwegerich.“
„Aber, aber Fräulein Lieschen Müller“, brummte Knöpfchen, streckte sich und gähnte mit weit aufgerissenem Mäulchen. „Das klingt aber sehr gierig. Nicht gerade sehr damenhaft.“
„Damenhaft ist mir egal“, quiekte sie und schniefte laut. „Ich bin nämlich nicht nur eine Dame, ich bin auch ein Meerschweinchen! Grund genug, sich auf das Frühstück zu freuen.“
Nun war auch Knöpfchen aus seinem Häuschen gekommen und lief auf Lieschen Müller zu.
„Wie wahr, wie wahr! Ein Meerschweinchen bin ich auch, meine Gnädigste, und trotzdem mache ich nicht jeden Morgen so ein Theater!“
Lieschen Müller pfiff und quietschte in den höchsten Tönen der Empörung.
„Guten Morgen, meine Lieben, hoffe, ihr habt prima geschlafen.“ Monas Gesicht tauchte auf. Sie beugte sich über die beiden Meerschweinchen und streichelte ihnen einmal über den Kopf. Lieschen Müllers Kopf war schwarz, aber der restliche Körper war weiß. Knöpfchen hatte braunes Fell mit lustigen weißen Flecken auf dem Rücken. In wilden Büscheln stand das Fell vom Körper ab. Rosettenmeerschweinchen war die richtige Bezeichnung für diese Rasse. Lieschen Müller behauptete stets von Adel zu sein, aber Knöpfchen glaubte ihr das nicht so recht. Und selbst wenn, es hätte ja nichts geändert. Beide lebten wohl behütet und sehr zufrieden bei Mona, und heute gab es Löwenzahn und Spitzwegerich zum Frühstück.
Dann wurde es ganz still. Kein Quietschen und kein Schnattern waren mehr zu hören. Lieschen Müller saß ganz friedlich neben Knöpfchen und knabberte an einem Blatt. Knöpfchen lächelte zufrieden, dabei schmatzte er ein bisschen. Die Meerschweinchen steckten ihre Köpfe in einen Berg saftiger, grüner Leckereien. Die beiden waren sehr glücklich.


Mona ging aus dem Zimmer und schloss leise die Tür. 

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